Wege übers Land
Wer in Mecklenburg-Vorpommern über Land fährt, findet nur noch vereinzelt Kopfweiden. Diese Landschaftsbild-prägenden Bäume waren früher typisch für den Norden. An Wegrändern, fast jedem Graben fand man Reihen von Kopfweiden. Gesteckt wurden sie seinerzeit durch ein Dekret zur Beförderung der Weidenzucht von 1769 des Landesfürsten Friedrich von Mecklenburg, das massenhaft den Anbau und die Nutzung verordnete.
Als Fotograf unserer eiszeitlich geprägten Kulturlandschaft ist mir die Kopfweide bereits vor Jahren in der Belletristik begegnet. Nach Zitaten suchend, die hier in Mecklenburg bzw. über diese Landschaft geschrieben wurden, entdeckte ich „Wege übers Land“ von Helmut Sakowski wieder. Thematisch fündig wurde ich in „Daniel Druskat“: Ich finde, Weiden sehen wunderschön aus, und in ein paar Jahren, Jugendfreunde, wird auf jedem Weidenkopf ein Entenpärchen brüten!
Heute sind diese Lebensräume bedroht, denn die nur durch die Nutzung des Menschen entstandene Kopfweide ist aktuell wirtschaftlich nicht mehr interessant. Wo früher durch den regelmäßigen Rückschnitt Flechtruten, Brennmaterial oder Besenstiele gewonnen wurden, ist scheinbar allein die Romanik geblieben. Wer soll heute diese wirtschaftlich uninteressante Arbeit machen und die Kopfweiden schneiden? Sicher, sie sind ein Refugium der Natur und schon daher erhaltenswert, aber wenn in der Gegenwart die traditionelle Nutzung entfällt, hat das eben unweigerlich Konsequenzen.
Meine Herangehensweise beim Fotografieren bedarf der Recherche nach geeigneten Orten sowie Überlegungen zu weiteren einwirkenden Komponenten wie Jahres- und Tageszeit. Auf meinen Fahrten über Land hielt ich dazu in den herbstlichen Monaten nach Kopfweiden Ausschau. Auf dem Weg zu einer Freundin fand ich eine kompakte Reihe: Akkurat ausgerichtet stehen sie an einem Landweg in Richtung Bahndamm. In Habitus und allgemeinem Zustand waren sie in etwa das, was ich mir vorstellte – ein lohnendes Setting für die kalte Jahreszeit.
Der Winter kam und hatte, wie so oft, seinen Namen nicht verdient. Es war ein Warten auf Schnee in diesem letzten, sehr milden Winter.
Bislang verweigerte ich mich der unsportlichen Variante namens digitale Manipulierung konsequent. Somit blieb also nur das Warten auf Schnee. Um den Jahreswechsel herum fiel im heimischen Sternberger Seenland genug davon um loszufahren. Der Wetterbericht versprach mir allerdings nur ein Zeitfenster von wenigen Stunden. Was ich in der entstehenden Hektik außer Acht ließ, war die Frage nach der gleichen Schneedicke am 50 Kilometer entfernten Ort.
Angekommen, war meine Enttäuschung groß: Es lag nur wenig Schnee. Fest gewillt, die Anfahrt nicht umsonst gemacht zu haben, schulterte ich meine schwere Ausrüstung. Den Weg zur Weidenreihe lief ich für Fotoapparat, Nodalpunktadapter, Stativ und Leiter zwei Mal.
Bei jedem einzelnen Baum war dieselbe Prozedur erforderlich: Zuerst musste ich beim Aufbau der Technik für Standsicherheit sorgen. Nun war die Wahl des Bildausschnittes sehr wichtig, um später am Computer durch Korrekturen keine Daten zu verlieren. Das Warten auf das gewünschte Licht und das Hoffen auf den Moment der absoluten Windstille schloss sich bei jedem Motiv aufs Neue an. Mit bis zu 15 Einzelaufnahmen pro Baum nahm ich jede Weide auf. In diesem Prozess nur bei einer dieser Aufnahmen einen Fehler zu machen, bedeutete: Ich verliere das ganze Motiv!
Später am heimischen Computer ist alles anders. Die Anspannung, Fehler zu machen die nicht mehr korrigiert werden können, löst sich und wird von einer Neugierde beim Sichten und zusammensetzen der Aufnahmen abgelöst. Vom Chip meiner Kamera holte ich 15 abgelichtete Weiden, nicht jede wird es später in den Zyklus schaffen.
Dem schließt sich ein wochenlanger Prozeß der Bearbeitung jedes einzelnen Motives an, verknüpft mit tagelangem Sinnieren. Jeden Zweig der ersten Weide arbeitete ich heraus – und erhielt so dessen bestechende Kontur. Mit jedem Fragment wuchs der Baum, jede einzelne Rute trug zum Gesamtbild bei.
Abb. Kopfweide, C-Print auf Alu-Dibond, i.O. 150 x 130 cm, 2015